Insolvenzverfahren in den USA
Das Insolvenzrecht unterliegt in den USA ausschließlich der Bundesgesetz- gebung. Wenn ein Unternehmen in Insolvenz verfällt, wenn also die Summe seiner Verbindlichkeiten die Summe seiner Werte übersteigt, so hat das Unternehmen diese Tatsache nach dem Insolvenzrecht der USA dem Bundesinsolvenzgericht (federal bankruptcy court) zu melden. Das US- amerikanische Insolvenzrecht ist in dem derzeit geltenden Bankruptcy Code von 1978 geregelt. Die Vorschriften des Bankruptcy Codes befinden sich im 11. Titel des United States Code.
Hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung des Bankruptcy Codes wird zwischen einem allgemeinen Teil (Chapter 1, 3 und 5) und einem besonderen (Chapter 7, 9, 11, 12, 13) unterschieden. Ergänzt werden die Regelungen des Bankruptcy Codes durch das einzelstaatlich normierte Recht der jeweiligen Bundesstaaten und die vom höchsten Gericht der Vereinigten Staaten, dem Supreme Court, erlassenen „Rules of Practice and Procedure in Bankruptcy“ (Verfahrensanweisungen).
Anders als die deutsche Insolvenzordnung differenziert das amerikanische Recht stärker nach verschiedenen Insolvenzsubjekten. So sind die Chapter 7 und 11 des Bankruptcy Code vor allem insolventen Unternehmen gewidmet, Chapter 9 (Adjustment of Debts of a Municipality) betrifft das Verfahren bei insolventen Gemeinden und die Chapters 12 und 13 regeln Maßnahmen gegenüber insolventen natürlichen Personen bzw. Verbrauchern (Adjustment of Debts of a Family Farmers or Family Fisherman or Individual with Regular Annual Income).
Für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stehen allgemein zwei Möglich- keiten zur Verfügung. Entweder stellt der Schuldner selbst einen Antrag, wodurch ein voluntary case begründet wird oder dessen Gläubiger, was einen involuntary case zur Folge hat. Eine Insolvenzantragspflicht, wie sie im deutschen Recht nach § 64 GmbHG bekannt ist, kennt das amerikanische Recht nicht. Hier können nur besondere Umstände im Einzelfall dazu führen, dass das Management aufgrund seiner allgemeinen Treuepflicht (fiduciary duty) gegenüber Gläubigern und Anteilsinhabern dazu verpflichtet ist, die Eröffnung eines Verfahrens zu beantragen.
Nach der Anordnung der Verfahrenseröffnung mittels der order for relief wird in der Regel ein trustee als Insolvenzverwalter bestellt. Diese Bestellung erfolgt, anders als nach deutschem Recht, nicht durch das Gericht, sondern durch den United States Trustee, einem Bundesbeamten des amerikanischen Justiz- ministeriums. In Ausnahmefällen übernimmt der United States Trustee auch selbst die Rolle des zumindest vorläufigen Insolvenzverwalters. Die Aufgaben des trustee richten sich dabei nach der Art und Funktion des Insolvenzverfahrens.
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht — unabhängig von der konkreten Art des Verfahrens — nach Section 541 Bankruptcy Code auto- matisch die Insolvenzmasse, die als estate bezeichnet wird. Sie besteht aus allen dem Schuldner zuzuordnenden Rechten, wobei es nach Section 541 Bankruptcy Code irrelevant ist, wo diese Rechte lokalisiert sind. Es gilt das Universalitätsprinzip, d.h. es wird das weltweite Vermögen des Schuldners erfasst. Anders als bei natürlichen Personen zählt bei Gesellschaften dazu auch das Vermögen, welches erst nach der Verfahrenseröffnung entsteht.
Eine weitere wesentliche Rechtsfolge ist der so genannte automatic stay, der betreffend aller Verfahren in Section 362 Bankruptcy Code geregelt ist. Dabei handelt es sich um ein Verbot jeglicher Handlungen und Anordnungen, die sich auf den Schuldner bzw. die Insolvenzmasse beziehen. Ausgenommen sind hiervon Strafverfahren und vor allem Verfahren, die Unterhaltsverpflich- tungen des Schuldners betreffen. Weitere Ausnahmen kommen dann in Betracht, wenn ein Gläubiger darlegen kann, dass ihm durch den automatic stay ein Schaden droht, z.B. durch einen konkreten Wertverlust einer im Besitz des Schuldners befindlichen Sache.
Zudem hat die Verfahrenseröffnung Auswirkungen auf die Verfügungsbe- rechtigung über die Insolvenzmasse. Während nach deutschem Recht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis im Regelfall auf den Insolvenzverwalter übergeht, gilt das im US-amerikanischen Recht nur für das Liquidations- verfahren nach Chapter 7 Bankruptcy Code. Im Rahmen des Reorganis- ationsverfahren (Sanierung) nach Chapter 11 Bankruptcy Code ist es dagegen denkbar, wenn nicht sogar die Regel, dass der Schuldner selbst die Insolvenz- masse verwaltet. Für diesen Fall der Eigenverwaltung bezeichnet das Gesetz den Schuldner als debtor in possession, dem nach Section 1107 Bankruptcy Code nahezu die Befugnisse eines Insolvenzverwalters zustehen.
Gerät ein Schuldner in Zahlungsschwierigkeiten, kommt es nicht selten vor, dass er vor der drohenden Insolvenz die letzten werthaltigen Vermögens- gegenstände an Familienmitglieder oder Freunde übergibt bzw. überschreibt. Es gibt Schuldner, die in Krisenzeiten meist aus persönlichen Gründen nur an bestimmte Gläubiger leisten. Hier entsteht eine Ungleichbehandlung der Gläubiger, die nach dem US-amerikanischen Insolvenzrecht unzulässig ist. Die in den Sections 544 bis 550 Bankruptcy Code geregelte Insolvenzanfech- tung dient vornehmlich der Durchsetzung des Gläubigergleichbehandlungs- grundsatzes. Um eine gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger sicherzustellen, können die vom Schuldner vorgenommenen Rechtshand- lungen („Verfügungen, die gerade in Anbetracht der drohenden Insolvenz vorgenommen wurden, sowie Verfügungen, die einzelne Gläubiger begünstigen oder die Gläubigergesamtheit benachteiligen“) angefochten und rückgängig gemacht werden.
Im Wesentlichen gibt es für US-amerikanische Firmen zwei verschiedene Arten, Insolvenz anzumelden: zum einen gibt es das im 11. Titel des US Federal Bankruptcy Code geregelte Liquidationsverfahren nach Chapter 7 Bankruptcy Code ("to file under Chapter 7") und das Sanierungs-/ Reorganisationsverfah- ren nach Chapter 11 Bankruptcy Code ("to file under Chapter 11"). Die beiden Verfahren unterscheiden sich deutlich voneinander.
Chapter 7
Die Mehrheit der Insolvenzverfahren werden gemäß Chapter 7 durchgeführt. Sie dienen der vollständigen Auflösung der Insolvenzmasse zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger. Es beinhaltet die Bestellung eines vom Gericht ausgewählten Insolvenzverwalters, der das nicht befreite Eigentum des Schuldners einzieht, es verkauft und den Erlös dann an die Gläubiger verteilt.
Ein Verfahren nach Chapter 7 dauert von dem Zeitpunkt des Insolvenzantrags an bis zum endgültigen Abschluss ungefähr drei Monate. Dabei kann das Insolvenzverfahren entweder durch einen entsprechenden Antrag durch den Schuldner selbst eingeleitet werden oder von den Gläubigern bei Zahlungs- unfähigkeit des Schuldners betrieben werden. Im Falle einer Ablehnung des Insolvenzantrages kann erst nach 180 Tagen ein neuer Antrag gestellt werden. Ist ein Insolvenzverfahren beantragt, darf ein Gläubiger seine Forderungen nicht weiter beim Schuldner eintreiben. Werden Schulden dennoch eingetrieben, können wegen Missachtung des Gerichts Strafen verhängt werden und Schadensersatzpflichten entstehen. Zur Insolvenzmasse zählen grundsätzlich alle weltweit zum Vermögen des Schuldners gehörenden Gegenstände und Rechte, nicht jedoch der Lohn sowie Renten- und Pensionsleistungen. Die Aufteilung der Insolvenzmasse an die Gläubiger erfolgt nach deren entsprechenden Rang.
Chapter 11
In den Chapters 11, 12 und 13 ist ein Reorganisationsverfahren vorgesehen, das dem Schuldner erlaubt, weiterhin die Kontrolle über sein Vermögen zu haben und zukünftige Einkünfte dazu zu verwenden, an die Gläubiger zu zahlen. Insbesondere das Verfahren gemäß Chapter 11 ist beliebt, wenn ein Unter- nehmen sich vor den Forderungen seiner Gläubiger schützen will, um mittels einer Restrukturierung das Unternehmen zu erhalten.
Während eine Insolvenzeröffnung nach Chapter 7 zur Folge hat, dass alle Unternehmenswerte sofort veräußert werden, um mit dem Erlös die Gläubiger zu befriedigen, führt ein Verfahren nach Chapter 11 zu einer beaufsichtigten Insolvenz. Bei dieser Variante versucht das Unternehmen, weiterhin im Geschäft zu bleiben und sich aus der Insolvenz zu retten. Während der Dauer der Insol- venz dürfen Gläubiger nicht versuchen, ihre Forderungen durchzusetzen, es sei denn über das Insolvenzgericht.
Häufig müssen die Anteilseigner des insolventen Unternehmens nach Ab- schluss der Insolvenz entschädigungslos auf ihre Rechte am Unternehmen verzichten, da das Gericht alle alten Verbindlichkeiten des Unternehmens und Rechte an ihm aufhebt ("rights and interests are being terminated"). An die Stelle der Alteigentümer rücken dann die Gläubiger in dem Anteil, der ihrem Anteil an den gesamten Verbindlichkeiten entspricht. Typischer Weise werden ungesicherte Forderungen und, falls dies für das Unternehmen vorteilhaft erscheint, auch Tarifverträge und langfristige Gebäudemieten durch das Gericht aufgehoben.
Ein Insolvenzantrag nach Chapter 11 hat weiter zur Folge, dass die Aktien des Unternehmens nun nicht mehr an der New Yorck Stock Exchange (NYSE) sondern an der NASDAQ gehandelt werden. Solche insolventen Aktiengesell- schaften sind durch ein Q vor der Firmenabkürzung zu erkennen.
Der Schuldner muss innerhalb von 120 Tagen einen eigenen Sanierungsplan vorlegen, der vom Gericht genehmigt werden muss. Gelingt dies dem Schuldner nicht, so können die Gläubiger einen entsprechenden Plan vorlegen.
Im Verfahren nach Chapter 11 werden die Gläubiger regelmäßig erhebliche Einbussen erleiden. Das Gesetz geht aber von der Vorstellung aus, dass es für alle Beteiligten besser sein kann, die bestehenden Geschäftsbeziehungen auf einer konsolidierten und neu strukturierten Basis fortzuführen.